Vier Typen Berufsschullehrer
35 Jahre war ich Berufsschullehrer, viele Lehrer habe ich kennengelernt, bis auf wenige Ausnahmen großartige Kollegen, manche mit Eigenheiten, die erst das Profil einer Persönlichkeit markieren. Deshalb soll die folgende Einteilung zum Schmunzeln einladen, ohne etwas Ironie, Sarkasmus und einem Spritzer Polemik geht's nicht. Zur literarischen Form der Satire schwinge ich mich nicht auf; das können andere besser:
Der Gewissenhafte
Schon in seiner Schulzeit käme es ihm nie in den Sinn, eine Stunde zu schwänzen, Hausaufgaben nicht zu machen, nicht im Unterricht aufmerksam mitzuarbeiten. Ob er beliebt ist, hängt von seiner - als Sozialkompetenz missverstandenen - Gefällig-keit ab, seine Kameraden an seinen Hausaufgaben teilhaben zu lassen. Dieses Verhalten setzt er im Studium nahtlos fort, arbei-tet alle Literatur, die der Professor empfohlen hat, aufmerksam durch, seine arbeitsfreien Nachmittage verbringt er in der Unibibliothek.
Hat er dann zur Freude seiner Betreuer und Seminarleiter das Referendariat erfolgreich durchlaufen und mit der obligatori-schen Bestnote abgeschlossen, stürzt er sich voller Idealismus und Enthusiasmus in den Schulalltag, beseelt von dem naiven Glauben, die Lehrprobe müsse auch den Schulalltag reflek-tieren; so wird jede Stunde akribisch vor- und nachbereitet, seine pingelig in Ordnern sortierten Arbeitsblätter füllen zu Hause bald ganze Regalwände, dank der umfangreichen Arbeit bis spät in die Nacht, wird ihm bald seine Ehefrau davonlaufen, was er vielleicht gar nicht bemerkt.
Schlimmer trifft ihn irgendwann die Erkenntnis, dass die Schüler ihm diesen Eifer kaum mit Aufmerksamkeit honorieren und die Erfolgsprognosen seiner ehemaligen Seminarbetreuer doch ziemlich von der Realität abweichen. Dazu kommt noch, dass er nicht besonders flexibel einsatzbereit ist, denn die Unterrichts-vertretung, die ihm am Morgen für die erste Stunde in der zur Unterrichtsvorbereitung verplanten Freistunde aufgedrückt wurde, bringt seinen ganzen geplanten Tagesablauf durch-einander, er beginnt zu leiden.
Besonders bedrückend ist für ihn aber die Erkenntnis, dass die Forderung, den Unterricht der Doppelstunde über die vollem 90 min geplant durchzuziehen und mit Glockenschlag auf dem Schulhof am anderen Ende des Gebäudes ab der ersten Minute zur vorgesehenen Aufsicht bereit zu sein, nicht durchführbar ist, die Dienstordnung aber gerade diese Fähigkeit zur Teleportation zwingend vorsieht.
Um es kurz zu machen, irgendwann zieht sein Körper die Reißleine durch Kommunikationsverweigerung, Erster Hörsturz mit 40, Burnout mit 50, Vorruhestand mit 55, keine Sorge, Vater Staat wird nicht lange zahlen müssen, Kranz mit grün-weiß-roter Schleife, Nachruf: "mit seinem Arbeitseinsatz hat der Kollege Maßstäbe gesetzt!"! R.i.P.
Der Kanalarbeiter
Dieser Typ ähnelt nur äußerlich dem Gewissenhaften, denn schon in der Schulzeit hat er bald erkannt, welche Fächer nur lebenswichtig, welche aber überlebenswichtig sind, mit diesem Pragmatismus besteht er das Abitur, durchläuft ohne große Reibungsverluste Studium und Referendariat. Wichtig ist für ihn nur eines: "Der Laden muss laufen." So sind für ihn Parallelvertretungen überhaupt kein Problem. Zwei Kollegen fallen aus, na und... Die erste Klasse bekommt Arbeitsblätter, Arbeitsauftrag mal eben an die Tafel geschrieben, in der zweiten wird das schon dreimal vorgeführte Video gezeigt, Arbeitsblätter schnell einmal mit flotter Normschrift verfasst, 20 Kopien verteilt, schon ist das Video wie neu. Jetzt kommt er in die eigene Klasse, verdammt, was wollte er dann unterrichten, Gott sei Dank hilft das Klassenbuch, in etwa weiß er jetzt was dran ist. So geht er in die letzte Reihe und fordert die Hausaufgaben an, "was? Nicht gemacht, beim nächsten Mal informiere ich Ihren Ausbilder" (Gedankenblase Schüler: "Scheibenkleister, das ist ein scharfer Hund") Doch zum Glück hat sein Nachbar etwas vorzuweisen, gebremstes Lob, aber nicht übertreiben, doch der Kanalarbeiter weiß jetzt Bescheid, während er gemessenen Schrittes zur Tafel schreitet, entstehen in seinem Kopf drei Übungsaufgaben, sauber an die Tafel gebracht und er kann wieder kurz sich Klasse eins und zwei zuwenden. Zur Schnellregeneration findet er auch noch Zeit für eine Tasse Kaffee in der Cafeteria, denn alle Schüler glauben, er sei in der Parallelklasse.
In der Bereichsleiterrunde wird man diesen Kollegentyp nicht antreffen, denn er ist für die Schulstatistik (erteilte Unterricht-stunden) unersetzlich, mehr als eine Beförderung nach A14 darf da nicht drin sein, falls er mit diesem Pragmatismus überhaupt die "Vierte Staatsprüfung" schafft; dafür darf er dann auch gleich die Schulbibliothek, Lehrbuchsammlung, Physik- und Chemie-sammlung mitbetreuen und die Schulpartnerschaften mit Schulen in Frankreich und Tadschikistan pflegen. So mal eben bringt er auch noch die obligatorische Didaktische Jahresplanung für alle Kollegen seiner Abteilung zu Papier.
So etwas schafft man nur mit einer sehr robusten Physis, die sogar noch Platz lässt, ein Haus zu bauen, mindestens drei Kinder zu haben, weil man allen Verpflichtungen, auch den ehelichen, aufmerksam nachkommt, eine glückliche Ehe führt, mit einer braven Frau, die ihm zu Hause den Rücken freihält (der Typ wird leider immer seltener). Selbstverständlich geht man auch erst mit 67-plus in Pension. Der Rest grün-weiß-rot ist dann wie beim Vorgenannten.
Der Paradiesvogel
Diesen Typ gibt es in allen Berufen, aber auch und gerade in der Lehrerschaft. Es handelt sich hier in der Reinform um eine solide Schnittmenge aus Intelligenz, Pragmatismus, gewürzt mit einer soliden Dosis Eigennutz.
Schon als Paradiesvogelküken am Gymnasium findet er genügend Dumme, die er mit einer ihm eigenen Freundlichkeit überzeugt, ihn die Hausaufgaben abschreiben zu lassen, Referate anzufertigen, während er in passenden Jugend-gruppen die ersten sozialen Kontakte knüpft. Rasch erkennt er, welcher Lehrer mit wem kann und welcher nicht, und nutzt dies geschickt aus, diese bei deren Notenvergabe zu seinem Nutzen freundlich zu "beraten". So ist auch die Hürde des Abiturs überhaupt kein Problem.
An der Hochschule hat er dank seiner Intelligenz keine Sorgen, weiterhin - insbesondere aus dem Kreis der Gewissenhaften - Dumme zu finden, die für ihn Vorlesungsmitschriften erstellen und ihn auf weniger bekannte Webseiten verweisen, die er dann intelligent verfremdet, als Eigenbeiträge in den Seminaren verkaufen kann. Dort wird er dann auch besonders auffällig sein, wenn es prominenten Besuch gibt, wo man mit intelli-genten Fragen den Professor beeindrucken kann, ein paar Zitate von Promis reichen aus, wer wird sich schon durch das Gesamtwerk quälen? Im Übrigen ist es viel wichtiger, in ASTA und Fachschaften mitzuarbeiten und lebenswichtige Ver-bindungen zu knüpfen, die früher für diesen Personenkreis so wichtigen Burschenschaften haben dagegen wegen der Rechtslastigkeit ihren Glanz verloren; sie sind besser zu meiden.
So ausgestattet geht man in die Referendarzeit und tut gut daran, die Nähe der Großkopferten zu suchen, natürlich muss man diese Zeit einigermaßen passsabel abschließen und im Kolloquium durch das richtige Gesprächstaktieren, was aber schon routiniert eingeübt hat, Schwächen im Unterricht ausgleichen.
An der Schule angekommen, stellt der Paradiesvogel schnell fest, dass die Zeit vor der Klasse bei seiner profunden Begabung und seinem Genius im Grunde vertane Zeit ist. Mit seinem Charme wird er bald unter den Gewissenhaften den theoretischen Hintergrund und unter den Kanalarbeitern die ausreichende Vertretung finden, damit er auch Zeit hat zur Pflege seiner vielfältigen Kontakte in Verbänden, Parteien, Gremien. Da bleibt für solche unsozialen Ansinnen wie Abend-unterricht natürlich überhaupt keine Zeit. Diese benötigt er nämlich zur Kontaktpflege bei den Verbänden, die erleichtern ihm dann auch den Absprung von der ungeliebten Schule in Bereiche erleichtern, in denen man andere über Sachverhalte berät, die man selbst nie hat verinnerlichen wollen.
Jetzt der unerfreulichste Typ; ich benenne ihn nach unsere Alt-Bundeskanzler Schröder, es ist
Der faule Sack
Eigentlich ist er ein bemitleidenswerter Typ, denn seine Interessen deckten schon in seiner Kindheit niemals mit den Anforderungen der Gesellschaft, repräsentiert durch die Schule. Dank ehrgeiziger Eltern, teurer Nachhilfestunden, hilfsbereiter Klassenkameraden kann er es aber doch bis zum Abitur schaffen und dank altersweiser mitleidiger Lehrer dieses sogar mit Ach- und Krach bestehen.
Der Lehrerberuf hat ihn schon immer fasziniert, soziale Sicherheit, Altersvorsorge, die sich nicht nach einer ungünstigen Rentenformel, sondern dem Endgehalt orientiert; und dieses ist so leicht verdient, Vormittags ein bisschen vor einer Klasse stehen, den Schülern Referate aufgeben, die sie dann vortragen lassen, (heißt das nicht Handlungsorientierung, Projektbezogenheit oder so ähnlich?) Schwupp, ist die Stunde um, meine schlechteste Note ist die Drei (oder vielleicht doch die Zwei, allen eine Eins zu geben, fällt dann doch irgendwann auf, spätestens, wenn diese Schüler in die Prüfung gehen); das Restunbehagen verschwindet dann beim freien Nachmittag, die ich mit oder ohne Familie auf dem Tennis- oder Golfplatz verbringe, oder reite und schwimme. Und dann die vielen Ferien..., ja so kann man alt werden, ist mir doch sch...egal, ob die Schüler etwas lernen, die Guten werden es auch ohne mich tun, um die "Faulpelze (ha, ha, ...)" ist es eh nicht schade.
Wenn er dann mit dieser Einstellung, genügend Sitzfleisch, mitleidiger Professoren, hilfsbereiter Kommilitonen die Uni übersteht, sogar sich irgendwie durch's Referendariat gewuselt hat, .... kommt der Schock.
Die Betriebe oder Eltern, je nach Schulform, heizen ein, fordern Leistung an, man stellt fest, dass die Schüler, dank Eigeninteresse, Betriebsauslese und Werksunterricht mehr drauf haben, als man selbst und dies auch bald merken. Der arme Teufel ist in der Realität angekommen, auf die Hilfsbereitschaft der Gewissenhaften und der Kanalarbeiter kann er nicht hoffen, denn die ist längst durch die intelligenteren Paradiesvögel besetzt. Da hilft nur noch eines: Psychischen Störungen verdrängen die kümmerlichen Motivationsreste; ein Gutachten muss her: Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten, viele entstammen aus dem Kreis der Paradiesvögel (Version Medizin), wollen auch leben. Ab in eine lange Kur plus Reha, das verschafft erst einmal Luft. Schlimm ist es nur, wenn er dort auf ausgebrannte Gewissenhafte trifft. Das ist frustrierend - für den Gewissenhaften.
Damit schafft er Raum für die Aktivitäten des Kanalarbeiters, ein kluger Stundenplangestalter plant seine Stunden schon als Eckstunden ein, um dem Kanalarbeiter etwas Luft zu verschaffen. Immerhin taugt der f.S. noch für die Lehrerstellen-Schulstatistik, aber nur wenn es genügend Kanalarbeiter gibt, und sich die Zahl der Paradiesvögel in sehr engen Grenzen hält.